Es sind oft die dunkelsten Stunden, in denen einem die makabersten Dinge einfallen.
Mitte April standen wir am Yppenplatz und haben eine Gedenkwand errichtet. Eine Gedenkwand für 7 brutal ermordete Frauen seit Anfang des Jahres. Ich stand da mit Anja und Marietta vom Kollektiv Kimaere und wir hatten gerade eben eine fette rote Sieben an die Wand geschmiert, als mir durch den Kopf ging: “Eigentlich... eigentlich sollten wir eine Stricherlliste daraus machen.“
Zum Lachen war uns deshalb trotzdem nicht. Denn wir wussten damals am 12. April schon, dass es irgendwann eine mehr werden würde.
Das war vor genau 2 Monaten.
Und wie viele sind hinzugekommen?
Doppelt so viele!
Wir waren seither also fast wöchentlich und in manchen Wochen mehrmals bei dieser Wand am Yppenplatz, um jedes mal drüberzumalen und eine neue rote Zahl an die Wand zu klatschen. Zuletzt haben wir rasant die Zweistelligkeit erreicht.
Es sind noch mehr makabere Gedanken in den letzten Wochen aufgekommen:
„Ist das jetzt mein neuer Teilzeitjob? Im Schnitt drei mal im Monat dahin zu fahren?“, oder auch ganz was anderes: „Warum haben ein paar Opfer eines Attentats in Wien einen in Stein gemeißelte Gedenkstätte und über hunderte Frauen die allein in den letzten Jahren der Männergewalt zum Opfer gefallen sind fanden jahrelang nicht mal mediale Beachtung.“
Ist es das was ich jetzt tun sollte? Menschenleben gegeneinander aufwiegen?
Nein, ich sollte an eine Perspektive für die Zukunft denken, den Mut nicht verlieren und stolz sein auf die Frauen, denen ich mich hier anschließen kann. Ich möchte nämlich die Hoffnung nicht verlieren, dass ich nicht noch weitere 20-30 mal in diesem Jahr zu dieser Wand fahren muss - wie es einen aber die Statistiken seit 2018 erwarten lassen.
Ich möchte Danke sagen an alle Organisationen und Menschen hier am Enkplatz, an jene die in der Täterprävention arbeiten und jene, die betroffene Frauen und Kinder betreuen. Meine Gedanken sind bei den Hinterbliebenen der Opfer.
Mein Appell gilt den Menschen, nicht aufzuhören, Bewusstsein dafür zu schaffen, dass ein Frauenmord die letzte Instanz scheinbar harmloser alltäglicher Diskriminierung, Demütigung und Belästigung ist.
Das schaffen wir aber nicht allein. Es braucht öffentliche und mediale Bewusstseinsschaffung. Die Leute reden darüber, wenn sie mit so einer Wand konfrontiert sind. Allein während des Malens am Yppenplatz haben uns immer wieder Männer angesprochen, um sich zu erkundigen was Femizide sind, sie haben es anschließend ihren Freunden erzählt, welche sie am Yppenplatz getroffen haben. Viele haben sich nach Nadines Schicksal erkundigt und eine Mutter hat ihrer maximal 12-jährigen Tochter auf deren Nachfrage hin das strukturelle Problem erklärt.
Deshalb fordern wir die Frauen-Stadträtin Gaal und die Stadt Wien auf, sich dessen anzunehmen und unsere Gedenkwand permanent zu machen, um im öffentlichen Raum Zeichen zu setzen, das klar und deutlich kommuniziert, dass ein Mann nach dem Anderen seine Frau oder Ex umbringt - laufend, fast wöchentlich, überdurchschnittlich oft in Österreich.
Femizide sind ein Produkt des Patriarchats!