Warum nicht sexistisch sein alleine nicht reicht

Warum nicht sexistisch sein alleine nicht reicht

Seit zwei Monaten möchte ich diesen Artikel schreiben. Seit zwei Monaten weiß ich nicht, wo oder wie ich anfangen soll. Eigentlich sollte es einfach sein: Sexismus ist scheiße – lasst uns gemeinsam daran arbeiten, ihn loszuwerden. Wenn wir dieses und jenes machen, können wir es schaffen.

Happy End!
Not.

Fakt ist: Sexismus ist scheiße. Fakt ist auch: Nicht jede*r ist sich dessen bewusst. Oder eher: Nicht jede*r ist sich bewusst, dass Sexismus in jede*r von uns steckt, dass er tief in unserer Gesellschaft verankert ist, in unserem Tun, unseren Konventionen, unserer Kultur, unserer Sprache, unseren Beziehungen, unserer Politik. Und dass er verdammt verletzend sein kann. Das ist problematisch, denn wie sollen wir ein Problem lösen, wenn es von vielen von uns gar nicht erst als solches wahrgenommen wird?

Bewusstsein schaffen – wir alle sind Sexist*innen

Die Aussage liest du nicht gerne? Sie nervt dich? Macht dich wütend? Gut. Emotionalität ist in dieser Debatte wichtig. Sie zu verstehen, zu akzeptieren und richtig einzuordnen, ist aber umso wichtiger. Denn geht es um Sexismus, reagieren die meisten emotional: Jene die (bewusst) darunter leiden, sind frustriert, verletzt, fühlen sich oft hilflos und in ihrem Kampf allein gelassen. Jene, die finden, dass die Sexismusdebatte aus dem Ruder läuft und Probleme aufgebauscht und erfunden werden, fühlen sich oft angegriffen, nicht verstanden und (vor-)verurteilt. Alles total legitim. Damit wir aber weg von einem Gegeneinander hin zu einem Miteinander finden – weil ohne geht’s nicht–, müssen wir diese Emotionen akzeptieren, respektieren und darüber sprechen. Ohne mit dem Finger zu zeigen, ohne Vorwürfe, ohne Beleidigungen und Anschuldigungen – einfach erklären, zuhören, versuchen zu verstehen. Egal, welche Ansichten man hat. Denn Sexismus schadet uns allen.

Also versuch ich das jetzt einfach mal, erklären wie ich Sexismus und auch sexualisierte Gewalt erlebe und erlebt habe. Weil es mir wichtig ist, dass jene, die glauben, ich und andere übertreiben total, verstehen, worum es geht. Warum ich und viele andere extrem frustriert, traurig und manchmal einfach nur brennhaß sind. Auch wenn es für diese Personen „eh nur ein Scherz“ war, es „ja nicht böse gemeint“ war oder eigentlich sogar „ein Kompliment“ sein sollte.

Einmal ist einmal zu viel

Wir leben in einer Gesellschaft, wo Sätzen wie „Du wirfst wie ein Mädchen”, „Du rasierst dir nicht die Beine???“, „Frauen sollten zuhause bei den Kindern bleiben“, „Gendern stört den Lesefluss“ nichts Ungewöhnliches sind. Wo ein Mann sagen kann, dass er Frauen ungefragt zwischen die Beine greift und dann zum Präsidenten der USA, dem vielleicht mächtigsten Mann der Welt, gewählt wird. Wo der amtierende Präsident Brasiliens es für eine Schwäche hält, dass er ein Mädchen gezeugt hat und einer Abgeordneten an den Kopf wirft, sie hätte es nicht verdient, vergewaltigt zu werden, weil sie so hässlich sei.

Das ist unfassbar belastend für mich. Weil mir als Frau damit vermittelt wird, aufgrund meines Geschlechts ein minderwertiger Mensch zu sein – und zwar nicht nur von zwei narzisstischen Egomanen. Denn diese Egomanen haben Unterstützer*innen (!), die zwar vielleicht nicht alle mit diesen Aussagen einverstanden sind, sie aber als geringes Übel akzeptieren. Weil es gibt ja Wichtigeres.

An alle Cis-Männer: Wie würdet ihr euch fühlen, wenn der*die Präsident*in der USA sagen würde, dass es total okay ist, euch ungefragt auf den Penis zu greifen. Wenn einen Sohn zu bekommen eine Schwäche wäre. Wenn ihr euch lieber keine kurze Hose anziehen solltet, weil dann seid ihr ja „selber schuld“, wenn euch eine Frau auf den Hintern grapscht. Wenn ihr schief angeschaut werdet, wenn ihr euren Nachnamen behalten wollt. Und bitte ja nicht das T-Shirt ausziehen, eure Nippel sind obszön! Aja und nicht zu vergessen: Wenn euch immer mal wieder jemand aus dem Auto „Schlampe!“ zuruft oder ihr penetrant angehupt werdet, bis ihr endlich hinschaut. Total absurde Vorstellung oder? Für Frauen ist das Alltag. Warum ich mir nicht einfach (nur) denk „Scheiß auf die Trottel, ich lass mich davon nicht unterkriegen!“? 

Weil es sich richtig scheiße anfühlt

Weil es sich scheiße angefühlt hat, als mir in Barcelona ein Auto langsam entgegengekommen ist und der Typ hinterm Lenkrad sich einen runtergeholt hat, während er mir in die Augen geschaut hat.

Weil es sich jedes Mal (!) scheiße angefühlt hat und scheiße anfühlt, wenn mir ein Typ im Club, in einer Bar oder auch auf der Straße ungefragt zwischen die Beine, auf den Hintern oder die Brüste gegriffen hat oder greift. Fremde und Bekannte. Keine Ahnung, was schlimmer ist.

Weil es sich scheiße angefühlt hat, zu erfahren, dass ein Bekannter meinem damaligen Gspusi geschrieben hat „Fuck her for the bitch she is“.

Weil es sich scheiße angefühlt hat, von einem Straßenverkäufer in Valencia gegen die Wand gedrückt zu werden, während er versucht hat, mir seine Zunge in den Mund zu schieben und mir zwischen die Beine gegriffen hat, obwohl ich ihm klar zu verstehen gegeben habe, dass ich das nicht will.

Weil es sich scheiße angefühlt hat, als mir bei einem Vorstellungsgespräch gesagt wurde, dass früher alles besser war, weil da musste man sich noch über den Tisch beugen, um einen Job zu bekommen.

Weil es sich scheiße angefühlt hat, als ein Mann, dem ich davor jahrelang vertraut und den ich geliebt habe, sich vor mir ausgezogen hat, mich festgehalten hat und wollte, dass ich seine Erektion anfasse. Und das alles, während ich weinend vor ihm gestanden bin und mehrmals gesagt habe, er solle bitte (!) aufhören.

Weil sich das „Kompliment“ nicht wie ein Kompliment anfühlt, sondern das hundertste Mal an diesem Tag, in dieser Woche, in diesem Jahr ist, dass ich auf mein Äußeres reduziert werde. Weil es für dich ein „Scherz“ ist, für mich aber traurige Realität. Weil es vielleicht „nicht böse gemeint“ war, du aber damit meine Gefühle verletzt hast und Rollenbilder stärkst, die Frauen* und auch Männern* schaden.

Das sind traurige Einzelfälle? Passiert ja auch nicht jeder*? Tut dir leid, dass mir das passiert ist, aber sind vielleicht extreme Beispiele? Du glaubst, dass es sowieso nur wenige Frauen* und dich persönlich schon gar nicht betrifft? Falsch gedacht.

Ich bin deine Freundin. Deine Frau, Partnerin, die Liebe deines Lebens. Ich bin deine Mutter, deine Schwester, Oma, Tante und Lieblingscousine. Ich bin deine beste Freundin, deine lustige Studienkollegin, die gescheite Professorin, deine liebe Chefin, deine Ex. Ich bin deine sarkastische Arbeitskollegin, die nette Verkäuferin im Supermarkt, deine manchmal etwas laute Nachbarin und die charmante Kellnerin in deinem Lieblingscafé. Ich bin die kleine Schwester deines besten Freundes, die Mutter deiner besten Freundin.

Ich bin jede Frau*, die* du kennst, liebst, vermisst, gerne um dich hast und mit der du unbedingt über dieses Thema sprechen solltest.

Frag nach, hör zu, google es, bilde dich weiter, überleg zweimal, bevor du etwas sagst und mach deine Freund*innen, Kolleg*innen, Familienmitglieder darauf aufmerksam. Es ist nicht die Aufgabe von Frauen*, dich an der Hand zu nehmen und dir die sexistische Welt, in der wir leben, zu erklären.

Nicht sexistisch zu sein allein reicht nicht. Wir brauchen mehr Anti-Sexist*innen.


Gastautorin

Katrin Grabner

Katrin Grabner (28) hat an der Romanistik Spanisch studiert, als Journalistin gearbeitet und ist überzeugte Feministin. Egal, ob sie Yoga macht, einen Blogartikel schreibt oder daran arbeitet, das Patriarchat zum Fall zu bringen – Leidenschaft und Humor dürfen dabei auf keinen Fall fehlen. Als Copywriterin und Übersetzerin bei Runtastic setzt sie sich in ihrem Job derzeit besonders für inklusive Sprache ein.

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