Bei einer Arbeitskollegin habe ich den Begriff „Mental Load“ vor ein paar Wochen das erste Mal gehört. Es ist ein Begriff, der im deutschsprachigen Raum leider noch viel zu unbekannt ist. Und das, obwohl das Thema Mental Load sehr viele Frauen* betrifft.
Bei Mental Load geht es um all die unsichtbaren Aufgaben, die zu erledigen sind, damit das Alltagsleben seinen gewohnten Lauf nehmen kann. Es sind jene Aufgaben, über die im Paar- oder Familienleben oft nicht explizit gesprochen wird, denn sie werden meist von einer Person nebenher identifiziert, geplant und erledigt. Meist geht es dabei um vermeintlich kleine Dinge, wie zum Beispiel den Tisch nach dem Essen abzuwischen, Geschenke für Verwandte und Freund*innen zu besorgen oder das Bett neu zu überziehen. Doch viele kleine Dinge zu erledigen ist keine Kleinigkeit. Die Verantwortung, ständig an alles zu denken und die To-do-Liste, die in unserem Hinterkopf in einer unendlichen Schleife erweitert und erledigt wird, hat Gewicht: Mental Load.
Eine aussagekräftige Illustration des Phänomens liefert die Comiczeichnerin Emma. Mit „Du hättest doch bloß fragen müssen“, traf die Französin einen Nerv. Sehr viele Frauen* wissen sofort, was gemeint ist.
Mental Load als Karriere-Killer
Nun findet sich seit ein paar Monaten auch das Buch „Raus aus der Mental Load-Falle“ von Patricia Cammarata in der Liste der meistverkauften Karriere-Ratgeber. Die Kategorie Karriere mag vielleicht auf den ersten Blick verwundern: Ist Mental Load nicht eher ein privates Thema?
Nicht nur. Denn Frauen* tragen in unserer Gesellschaft immer noch einen Großteil der Verantwortung für das Privatleben und den Haushalt. Es wird oft so getan, als wäre es alleine die Aufgabe der Frau* Karriere, Beziehung und Familie irgendwie unter einen Hut zu bringen. Dabei betont die Autorin, dass gerade jüngere Frauen häufig denken, dass es nur eine Frage des Willens sei, alles zu schaffen. Doch so einfach ist es nicht.
Patricia Cammarata, Raus aus der Mental Load-Falle
Wichtig ist, bei der dann entstehenden Überlastung zu erkennen: Es ist nicht mein persönliches Problem, sondern ein systemisches.
Ich bin halt so
Ich selbst lebe in einer privilegierten Situation. Ich bin in einer festen Beziehung ohne Kinder, in der wir beide Vollzeit arbeiten und gut verdienen. Trotzdem hat mich das Buch auf viele Problematiken aufmerksam gemacht, die bereits jetzt in meiner „gleichberechtigten“ Beziehung existieren oder die mich möglicherweise in Zukunft betreffen werden.
Gerade beim Thema Hausarbeit ertappe ich mich dabei, wie ich mir sage: „Ich mag es halt sauber.“ „Ich sehe den Dreck halt schneller und bin genauer.“ „Mir ist Ordnung einfach wichtiger.“
Besonders wenn wir Gäste erwarten, entwickelt sich bei mir ein regelrechter Putz-Zwang, unter dessen Einfluss ich sogar die Orte, die bereits von meinem Partner gereinigt und aufgeräumt wurden, noch einmal vermeintlich sauberer mache. Die Stimme in meinem Kopf sagt dann: „Ich kann manche Dinge halt besser.“
Was ich davor noch nie reflektiert habe, ist, warum mich diese Situation so unter Druck setzt. Es ist die gefühlte Verantwortung, die ich als Partnerin dafür trage, dass unsere Wohnung ordentlich aussieht. Was wäre, wenn Gäste kommen und der Boden ist nicht gewischt? Gewiss würde niemand meinem Partner Vorwürfe machen. Er hat einen wichtigen, sehr anstrengenden Job. Seine Stärken liegen eben woanders. In Wahrheit ist es eine sehr problematische gesellschaftliche Erwartung, die ich mit meinem Verhalten bediene.
„Manchmal denke ich, die einzige Möglichkeit Gleichberechtigung zu erreichen ist, das Verhalten (…) der Männer zu übernehmen. (…) Dass Frauen wirklich die Verantwortung abgeben müssen, sich gestatten genauso schlampig, vergesslich und egoistisch zu werden wie die Männer.“
Maria Seveland, Bitterfotze
3 Dinge, die mein Leben besser machen
Obwohl ich in einer privilegierten Situation bin, bin ich oft sehr erschöpft. Ich scherze darüber, dass ich eigentlich zwei Vollzeitjobs habe: Viva La Vulva und meinen Job in der IT-Beratung. Doch Spaß beiseite. Allein daraus resultieren in meinem Kopf etliche To-do-Listen, die mich oft abends nicht einschlafen und morgens aus dem Bett schrecken lassen. Hinzu kommt Freizeitstress, professionelle Netzwerke, Hausarbeit und emotionale Arbeit in meiner Beziehung.
Das Buch von Patricia Cammarata fokussiert sich stark auf traditionelle Familien mit Vater, Mutter und mehreren Kindern. Ein wichtiger Kritikpunkt. Trotzdem kann ich es guten Gewissens empfehlen und konnte auch für mich selbst einiges mitnehmen.
Hier sind meine Top 3 Take-Aways:
Mental Load sichtbar machen
Ein erster wichtiger Schritt ist es, die unsichtbaren Aufgaben sichtbar zu machen. Allein, dass ich dafür nun den Begriff Mental Load kenne, macht es einfacher für mich, mich mit anderen Menschen und meinem Partner über die Problematik zu unterhalten.
Wer seinen eigenen Mental Load reflektieren möchte, kann zum Beispiel eine möglichst ausführliche Liste über alle typischen Aufgaben anlegen. Das geht entweder alleine oder mit Partner*in. Wer denkt daran? Wer setzt es um? Wie oft muss es gemacht werden? Wie lange dauert es?
Dadurch kann unsichtbare Arbeit sichtbar gemacht werden. Es entsteht höhere Transparenz darüber, was von wem im Alltag geleistet wird, was wiederum zu mehr Wertschätzung und Verständnis beitragen kann.
Choose your Battles
Man muss nicht alle Kämpfe führen und gewinnen. Im Kapitel „Diese 200 Punkte sind mir wichtig – und dir?“ macht Cammarata klar, dass man entscheiden sollte, wo es einem wirklich wichtig ist, das Ergebnis mitzubestimmen. Denn jeder Kampf braucht Energie. Die Autorin schlägt vor, via Farbcode zu unterscheiden, wie wichtig einem ein bestimmtes Outcome ist:
Rot: So und nicht anders!
Orange: Ich kann mit Ergebnissen leben, die nicht genau meiner Vorstellung entsprechen.
Grün: Wie ist mir egal, Hauptsache es ist erledigt.
Ich mache diesen Farbcode zwar nicht schriftlich, aber seitdem ich ihn in meinem Kopf anwende, ist mein Leben um einiges leichter und stressfreier geworden. Da ich eine extreme Perfektionistin bin, waren implizit alle Aufgaben, die ich an andere abgegeben habe, auf „Rot“. Ich war deshalb oft schon unzufrieden, wenn jemand zum Beispiel eine falsche Schriftart verwendet hat. Die Stimme in meinem Kopf schreit dann: „Hast du schon mal was von CI gehört?!“ Auch wenn die Marketing-Gurus jetzt den Kopf schütteln, aber manchmal gibt es einfach wichtiger Dinge als die richtige Schriftart.
Meine inneren To-do-Listen um die Farben orange und grün erweitern: Beste Entscheidung, die mein Leben nachhaltig verbessert hat.
Definition of Done
Mit der “Definition of Done“ (DoD) arbeite ich als IT-Beraterin fast täglich. Es ist ein Konzept aus der agilen Software Entwicklung, dass ich dank Patricia Cammarata nun auch in mein Privatleben integriert habe. Vereinfacht gesagt legt die Definition of Done Mindeststandards und Bedingungen fest, unter welchen eine Aufgabe als erledigt gilt. Ein Beispiel: Die Aufgabe „Arbeitsflächen abwischen“ beinhaltet für mich, dass Dinge, die auf der Arbeitsfläche stehen, aufgehoben werden und nicht nur drum herum gewischt wird. Eh klar? Eben nicht!
Die Definition of Done sorgt in Beziehungen nicht nur für ein gemeinsames Verständnis, sondern verhindert auch nachträgliche Schuldzuweisungen.